Pontifex maximus
Vorwürfe gegen Ratzinger: Schwere Last für ganze Kirche
Lügengebäude: Kritik an Joseph Ratzinger reißt nicht ab
26. Jänner 2022, 16:05
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Lügengebäude: Kritik an Joseph Ratzinger reißt nicht ab
Das Münchner Missbrauchsgutachten, das vergangene Woche veröffentlicht wurde, belastet Joseph Ratzinger, den früheren Papst Benedikt XVI. schwer. Schwer wiegt allerdings auch eine falsche Aussage, die Joseph Ratzinger inzwischen mit dem Verweis auf ein Versehen bei der redaktionellen Bearbeitung, wie es offiziell heißt, zurückgezogen hat: Es geht um die Teilnahme an einer Ordinariatssitzung im Erzbistum im Jänner 1980, die Joseph Ratzinger in seiner Stellungnahme bestritten hatte.
Die Gutachter waren jedoch zum Schluss gekommen, dass der damalige Erzbischof von München und Freising anwesend gewesen sein musste. Konkret wird Joseph Ratzinger im Gutachten außerdem in vier Fällen vorgeworfen, er habe nichts gegen Kleriker unternommen, die im Verdacht standen, Kindern sexuelle Gewalt angetan zu haben.
Kritik am früheren Papst kommt mittlerweile auch aus den Reihen der deutschen Bischöfe. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf etwa meinte, manchmal wünsche er sich angesichts der Missbrauchsskandale, dass sich die Erde unter ihm auftue und die Initiative Maria 2.0 spricht von einem Lügengebäude, das nun unter Joseph Ratzinger zusammenstürze.
Der deutsche Jesuitenpater und Leiter des Kinderschutzzentrums (Center for Child Protection) Hans Zollner sieht die gesamte katholische Kirche durch die Vorwürfe gegen den emeritierten Papst belastet und erwartet zumindest eine persönliche Entschuldigung. Aber auch dem derzeitigen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx werden Untätigkeit und Fehlverhalten vorgeworfen, berichtet ORF-Korrespondent Andreas Pfeifer aus München.
Katholische Kirche: Georg Ratzinger war Teil des Gewaltsystems bei den Regensburger Domspatzen
19. Juli 2017, 17:53 Uhr
- Mindestens 500 Jungen haben bei den Regensburger Domspatzen körperliche Gewalt erlitten, 67 wurden Opfer sexueller Gewalt.
- Das geht aus dem Abschlussbericht zum Missbrauchsskandal hervor.
- Darin geht es auch um Georg Ratzinger, der 30 Jahre lang Chorleiter war. Der Bruder des ehemaligen Papstes Benedikt hat demnach "in vielen Fällen" Gewalt angewendet.
Von Andreas Glas, Regensburg
Ulrich Weber brauchte beide Hände, um den Abschlussbericht in die Kameras zu halten. Mehr als 400 Seiten lang ist der Bericht, ein dicker Packen, der die Dimensionen der Gewalt und des Missbrauchs bei den Regensburger Domspatzen gut sichtbar macht. Weber, vom Bistum mit der Klärung des Skandals beauftragt, sprach am Dienstag etwa 20 Minuten vor der Presse.
Aber um diesen Wahnsinn zu erfassen, braucht es mehr Zeit. "Die Lektüre wird für viele Menschen nicht einfach sein", heißt es in der fünften Zeile. Wer bis zum Ende durchhält, stellt fest: Diese Warnung ist brutal untertrieben.
Zwischen 1945 und 1992 haben also 500 Buben körperliche Gewalt erfahren, 67 wurden Opfer sexueller Gewalt, es gibt 49 Beschuldigte. Ziel des Berichts sei es, "die Opfer sprechen zu lassen", so steht es in der Einführung. Dutzende Opfer schildern ihre Erlebnisse im "Lager", im "Zuchthaus", in der "Hölle".
Mindestens 547 Gewaltopfer bei Regensburger Domspatzen
So nennen frühere Domspatzen die Vorschulen in Etterzhausen und Pielenhofen, die Zentren der Hölle, man kann das sagen. Dort, wo die Kleinsten ins Internat gingen, war es am grausamsten. Im Bericht bekommen Männer, die damals Buben waren, eine Stimme, teils nach Jahrzehnten des Schweigens. Das ist beeindruckend und wichtig. Man muss die Lektüre aber aushalten können.
Das Martyrium in Etterzhausen begann frühmorgens im Waschraum: "Direktor M. stand an dem Hebel mit dem er das Wasser 'steuerte'. Je nach Belieben machte er es eiskalt oder extrem heiß. Er schrie und prügelte, wenn Kinder aus dem Wasserstrahl gingen." Danach hieß es Antreten zur Hygienekontrolle. "Der Letzte, der in die Reihe trat (...), bekam seine Packung Ohrfeigen ab als morgendlichen Muntermacher".
Nach der Messe ging es zum Frühstück, dann in die Schule, dann zum Mittagessen. Beim Essen herrschte Sprechverbot. Präfekten und Heimleiter seien auf einem Podest gesessen "und notierten jeden, der sich mit seinen Mitschülern sprechen traute". Abends "wurde von einer Liste vorgelesen, wer geschwätzt und hervorzutreten hatte. Man musste sich (...) niederknien und bekam mit dem 'spanischen Rohr' ein paar Schläge", so ein Schüler aus den Fünfzigern.
Manchmal setzte es die Strafe im Speisesaal: Nach einer Ohrfeige, erzählt ein Schüler, habe der Direktor ihm das Essen weggenommen, dann "musste ich, während die anderen aßen, mit den Tränen kämpfend" aus einem Buch "zur Unterhaltung der anderen vorlesen". Ein anderer sagt: "Mittendrin wurde immer einer aufgerufen und musste kurz den Inhalt des Vorgelesenen wiedergeben. Konnte er das nicht, musste er sich (...) an die Wand stellen (...) und durfte nicht weiteressen."
Wer nicht aß, "bekam die kochend heiße Suppe über die Hände gegossen". Wer sich erfolglos dazu zwang, um nicht bestraft zu werden, sei manchmal genötigt worden, das Erbrochene zu essen. "Der Direktor zwang ihm das Erbrochene wieder und wieder in den Kropf, fütterte ihn gewaltsam", erzählt ein Schüler aus den Sechzigerjahren über seinen Tischnachbarn.
Ratzinger nennt Aufarbeitung des Missbrauchsskandals "Irrsinn"
Der Bericht beschreibt geradezu Stasi-Methoden: Hygienekontrolle, Schrankkontrolle, Briefkontrolle, Bettenkontrolle. Ständig herrschte die Angst, etwas falsch zu machen - Fehler bedeuteten oft Prügel und Erniedrigung. Die Auswahl der Opfer sei "vielfach willkürlich" gewesen, die Strafen unverhältnismäßig. Selbst nachts herrschte Angst, weil Direktor und Präfekt über die Flure geschlichen seien, "stets auf der Lauer, einen Übeltäter zu finden".
Im Bericht erzählt ein früherer Schüler, dass er nachts "stundenlang barfuß und nur in Unterhose bekleidet im dunklen Waschsaal stehen musste - weil ich nach dem Lichtlöschen pinkeln gehen musste, was nicht erlaubt war. Andere wurden bestraft, weil sie ins Bett machten, da sie sich aufgrund von Bestrafung (...) nicht trauten die Toilette zu besuchen - wie paradox. Regeln, so gemacht, dass sie in jedem Fall eine Bestrafung zur Folge hatten."
Gutachten belastet deutschen Papst schwer
"Das Lügengebäude bricht krachend zusammen"
20.01.2022, 23:52 Uhr | Von Britta Schultejans und Christoph Driessen, dpa
Der emeritierte deutsche Papst soll pädophile Sexualstraftäter gedeckt und über Sitzungen gelogen haben. Wohl noch nie war eine Studie zum Kindesmissbrauch in der Kirche so brisant – und belastete das einstige Oberhaupt so schwer.
Nein, Joseph Ratzinger hat angeblich nichts gewusst. Das versichert der heute emeritierte Papst Benedikt in seinem 82 Seiten langen Schreiben an die Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl immer und immer wieder aufs Neue. Dass pädophile Priester während seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising in seinen Verantwortungsbereich versetzt wurden und dort erneut Kinder missbrauchten – er habe nichts davon gewusst, beteuert er.
Dann kommt eine Ergänzung. Selbst wenn er teilweise davon Kenntnis gehabt hätte – hier wird im Konjunktiv gesprochen – würde man Folgendes berücksichtigen müssen: Der Pfarrer, um den es in einem konkreten Fall gehe, sei als Exhibitionist aufgefallen, aber nicht als Missbrauchstäter im eigentlich Sinn. "Die Tathandlungen bestanden jeweils im Entblößen des eigenen Geschlechtsteils vor vorpubertären Mädchen und in der Vornahme von Masturbationsbewegungen, (...) auch im Zeigen pornographischen Materials. In keinem der Fälle kam es zu einer Berührung."
Benedikt relativiert Missbrauch
Auch sei zu berücksichtigen, dass sich der Pfarrer den Mädchen immer an "Orten außerhalb seines Wirkens als Priester und Religionslehrer" genähert habe. Denn das ist Benedikt wichtig: "Weder als Priester in der Pfarrseelsorge noch als Religionslehrer" habe sich der Priester "das Mindeste zuschulden kommen lassen".
Ohne dass es ihm bewusst zu sein scheint, belegt Benedikt mit diesen Passagen einmal mehr, was Gutachter nun schon so oft nach jahrelanger Recherche in katholischen Kirchenakten angeprangert haben: Beim Umgang mit Missbrauchsvorwürfen ging es den Verantwortlichen jahrzehntelang in erster Linie darum, den Ruf der Priester zu schützen.
Juristen kritisieren vollkommene Missachtung der Opfer
Denn sie haben in der katholischen Kirche eine herausgehobene Stellung als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Was der Kirche am meisten anzulasten sei, sei die "vollständige Nicht-Wahrnehmung der Opfer", sagt der Jurist Martin Pusch am Donnerstag bei der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum München und Freising.
In diesem Gutachten geht es auch um den inzwischen schon berüchtigten Fall von "Priester X", wie ihn die Gutachter nennen. Dieser Geistliche wurde nach Missbrauchsfällen im Bistum Essen nach Bayern versetzt und dort nachweislich wieder zum Täter. Er wurde dafür Ende der 1980er Jahre rechtskräftig verurteilt und danach – nicht mehr in Ratzingers Münchner Amtszeit – sogar noch zweimal versetzt, ohne die neuen Gemeinden über seine Vergangenheit zu informieren.
Verdacht: Ratzinger hat über Sitzung gelogen
Ratzinger war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München. Ein entscheidendes Datum aus dieser Zeit ist der 15. Januar 1980. An diesem Tag wurde in einer Sitzung entschieden, dass der Priester nach Bayern übersiedeln durfte. Er habe davon nichts gewusst, hat Benedikt immer wieder betont – denn er sei bei dieser Sitzung gar nicht anwesend gewesen. Doch spätestens seit diesem Donnerstag gibt es an dieser Behauptung erhebliche Zweifel.
Denn der Gutachter Ulrich Wastl präsentiert bei der denkwürdigen Pressekonferenz eine Kopie des Sitzungsprotokolls – und demnach hat Ratzinger durchaus teilgenommen. Er berichtete demnach von Dingen, die nur er wissen konnte, nämlich von Details eines Gesprächs mit Papst Johannes Paul II. über den kritischen Theologen Hans Küng. Er halte Benedikts Angabe, er sei in dieser Sitzung nicht anwesend gewesen, für "wenig glaubwürdig", sagt Wastl.
"Das ist sein persönliches Waterloo", sagt der renommierte Kirchenrechtler Thomas Schüller der Deutschen Presse-Agentur. "Joseph Ratzinger hat die letzte Chance vertan, reinen Tisch zu machen. Er wird der Unwahrheit überführt und demaskiert sich damit selbst als aktiver Vertuscher. Er fügt der katholischen Kirche und dem Papstamt damit einen irreparablen Schaden zu."
Sprecher von Betroffenen: "Lügengebäude bricht krachend zusammen"
Der Sprecher der Opferinitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch spricht von einer "historischen Erschütterung" der Kirche. "Dieses Lügengebäude, was zum Schutz von Kardinal Ratzinger, von Papst Benedikt, errichtet wurde hier in München, das ist heute krachend zusammengefallen." Jeder, der die Präsentation dieses Gutachtens miterlebt habe, müsse erkennen, dass dieses System an sein Ende gekommen sei.
Die Zahlen, die die Gutachter zutage gefördert haben, sind erschütternd: mindestens 497 Betroffene in den Jahren 1945 bis 2019, mindestens 235 mutmaßliche Täter, darunter 40 Kleriker, die nach Missbrauchsvorwürfen wieder in der Seelsorge eingesetzt wurden. Und doch ist das nur das "Hellfeld", wie die Gutachter betonen. Nur das, was in den Kirchenakten Spuren hinterlassen hat. Die Dunkelziffer muss um ein Vielfaches höher sein.
"Nichts geahnt", "keine Kenntnis"
Das Münchner Missbrauchsgutachten ist nicht das erste für ein katholisches Bistum in Deutschland und wird auch nicht das letzte sein. So wichtig die weitere Aufarbeitung ist, grundsätzlich neue Erkenntnisse sind nach Einschätzung der Münchner Gutachter kaum noch zu erwarten. Denn jedes Gutachten bestätigt immer das gleiche Schema: Die Opfer wurden ignoriert, die Täter geschützt, um die Kirche vor Imageschaden zu bewahren. Das "Ich hatte keine Kenntnis" von Papst Benedikt hatte etwa im Erzbistum Köln seine Entsprechung im "nichts geahnt" des mittlerweile gestorbenen Kardinals Joachim Meisner. "Es ist alles gesagt, aber noch nicht von jedem", beschreiben die Gutachter das mit Karl Valentin.
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Was die Verantwortungsträger mit ihrer Abwiegelei erreicht haben, spiegelt sich möglicherweise in einer diese Woche veröffentlichten Forsa-Umfrage. Demnach gehört die katholische Kirche in der Bundesrepublik zu den Institutionen, die das geringste Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger genießen.
Benedikt XVI.
Ehemaliger Papst
Benedikt XVI. ist emeritierter Papst. Vom 19. April 2005 bis zu seinem Amtsverzicht am 28. Februar 2013 war er Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche und damit auch Staatsoberhaupt der Vatikanstadt. Wikipedia
Geboren: 16. April 1927 (Alter 94 Jahre), Marktl, Deutschland
Beeinflusst von: Johannes Paul II., Paulus von Tarsus, MEHR
Geschwister: Georg Ratzinger, Maria Ratzinger
Eltern: Maria Ratzinger, Joseph Ratzinger
https://de.wikipedia.org/wiki/Zehn_Gebote